BesserFernsehen, Medien, Musik, Inspiration & Wellbeing

Blog

 
Schriftgröße: +

Werbung hat (zu) viele Gesichter

Der französische Schriftsteller & Ex-Werber Frédéric Beigbeder hat es am unverblümtesten ausgedrückt: „Behandeln Sie die Konsumenten nicht als Vollidioten, aber vergessen Sie nie, dass sie Vollidioten sind."

Konsum ist zur Ersatz-Religion geworden. Hier noch rasch ein neues Handtäschchen, da noch schnell das neuste SmartPhone – und ohne diese schicke neue Kaffee-Maschine geht gar nichts. Und hallo, was heisst hier 200 Paar Schuhe und die Hälfte davon nie getragen? Hast du diese Killer-Sandalen von Jimmy Manolo-Louboutin gesehen, was werden da die Freundinnen für Augen machen, lass uns mal reingehen & reinschlüpfen ... Irgendwo haben wir alle unseren wunden Punkt, wo uns Werbung & Verlangen einholen, auch wenn wir uns dem ganzen Konsum-Wahn noch so sehr zu entziehen versuchen. Shop till you drop, Kaufen bis zum Umfallen. Wir sehen eine weltweite Sehnsucht, sich im Konsum zu widerspiegeln als Ausdruck persönlicher Freiheit. Oft geht es nicht einmal primär darum, etwas zu besitzen, das einem gefällt – Hauptsache, der andere hat es (noch) nicht. Oder er hat es schon und man muss unbedingt nachziehen. Krise hin oder her, es wird konsumiert oder vielmehr über-konsumiert, als gäbe es kein Morgen. Nach uns die Sintflut, nach uns die Einschränkung & Genügsamkeit. Und die Werbe-Industrie tut alles dafür, den Karren auf hoher Drehzahl am Laufen zu halten. Nicht erst seit gestern. Bereits in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts wurde ein Kartell geschaffen, um die Lebensdauer von Glühbirnen zu begrenzen. Im Laufe der Jahrzehnte sind Bürgerinnen & Bürger immer mehr zu Konsumentinnen & Konsumenten geworden. Haben sich immer mehr Menschen im obsessiven Konsum-System verloren und käufliche Werte über andere gestellt. Ich konsumiere, also bin ich ...

In der Werbung geht es meist darum, in einem der drei folgenden Bereiche Bedürfnisse zu befriedigen oder – noch besser – zum Leben zu erwecken: Abenteuer, Status und Sicherheit. Die Werbung verkauft uns „Persönlichkeits-Verstärker", wie ich es gerne formuliere. Ein tolles Kleidungs- oder Schmuckstück, ein schicker Event, eine romantische Reise, das neuste technologische „Spielzeug", eine attraktive Kapital-Anlage, eine traumhafte Immobilie etc. Ohne das flotte Cabrio hat so manch einer das Gefühl, einen guten Teil seines Charmes eingebüsst zu haben ...

Und die Werbung arbeitet mit Hochdruck am Ausschalten der Filter, die der Mensch entwickelt hat, um bei mittlerweile über 5'000 Werbe-Impulsen täglich nicht den Verstand zu verlieren. Mit immer kreativeren Methoden, wie wir gleich noch sehen werden. Kreativität, die allerdings der herkömmlichen Werbung immer mehr abgeht ...

Natürlich kommen uns Konsumenten manchmal Bedenken, natürlich spüren wir einen zunehmenden Überdruss, der uns zuweilen langweilt & ermüdet. Wir schwanken hin & her zwischen (Über-)Konsum und einer gewissen Enthaltsamkeit, stellen uns die berühmte Sinn-Frage und fühlen uns zunehmend verloren inmitten der gesättigten Märkte unserer Konsum-Gesellschaft. Aber dann blinkt im nächsten Werbe-Spot vielleicht gerade das neuste heisse SmartPhone der Firma Apfelstrudel auf, und das müssen wir dann schon noch unbedingt haben, Bedenken hin oder her, auch wenn das alte (18 Monate ...) eigentlich noch völlig in Ordnung ist. Gedanken zu Über-Produktion & Über-Konsum, (zu) raschem Veralten und drohender Ressourcen-Erschöpfung machen wir uns dann morgen ... ganz gewiss & gewissenhaft ...

Schauen wir uns einmal die Fernseh-Werbung ein bisschen genauer an – auch heute noch ein bedeutender Teil des globalen Werbe-Kuchens.

Im Geschäfts-Modell von kommerziellen Fernseh-Kanälen ist jede Art von Sendung oder Show letztlich nichts anderes als die Überbrückung zwischen zwei Werbe-Pausen. Darüber hinaus fliesst infolge der zunehmenden Werbe-Müdigkeit der Zuschauer auch immer mehr (versteckte) Werbung in vermeintlich neutrale Sende-Inhalte. Das heisst, Werbung ist immer schlechter abgrenzbar.

TV-Werbung kann indirekt oder direkt finanziert werden. Free-TV (frei empfangbares Fernsehen) bezeichnet einerseits die öffentlich-rechtlichen Fernseh-Sender, die grösstenteils durch Gebühren und zu einem kleineren Teil durch Werbung finanziert werden. Und andererseits das zur Hauptsache werbe-finanzierte Privat-Fernsehen. Durch die Werbe-Finanzierung entstehen dem Zuschauer allerdings indirekte Kosten, schlagen doch die Unternehmen ihre Werbe-Aufwendungen einfach auf ihre Produkte drauf. So finanzieren dann die Verbraucher durch ihren Konsum auch das vermeintlich „kostenlose" Fernsehen. Laut Experten-Berechnungen kann diese „versteckte" Werbe-Steuer die Rundfunk-Gebühr der öffentlich-rechtlichen Sender übersteigen.  

In den USA wurden bereits 1941 und in Deutschland 1956 die ersten Werbe-Filme im Fernsehen ausgestrahlt. Die Werbe-Spots der Anfangs-Jahre dauerten etwa 2 – 4 Minuten und erzählten kleine Geschichten, die mit einem Happy End schlossen – dank des beworbenen Produkts. Heutige Werbe-Spots dauern durchschnittlich 25 – 30 Sekunden. Die Ausstrahlung der Werbe-Blöcke ist von Land zu Land unterschiedlich geregelt; es gibt aber überall Vorschriften hinsichtlich Form & Dauer der Werbe-Unterbrechungen. Diese Regelungen sind für die Öffentlich-Rechtlichen mit ihren fixen Gebühren-Einnahmen natürlich deutlich strikter als für die auf sprudelnde Werbe-Einnahmen angewiesenen Privat-Sender.

Sender bzw. Sendungen müssen möglichst viele Zuschauer in der gewünschten Ziel-Gruppe „liefern". Wie sie das machen, ist für die Auftraggeber – d.h. die Werbe-Agenturen und deren Kunden, die Unternehmen – zweitrangig, solange das Image der umrahmenden Sendungen einigermassen stimmt. Insbesondere im Privat-Fernsehen gibt es daher oft Themen-Abende: Drei Action-Serien hintereinander, vier Comedy-Shows am Stück, drei Frauen-Filme in Serie etc. So werden der Werbe-Industrie die gewünschten Zuschauer-Pakete (Ziel-Gruppen) geliefert. Werden die verlangten Ziel-Gruppen verfehlt, ziehen die Werbe-Agenturen mit ihren Kunden & Etats weiter und folgen den umschaltenden Zuschauern. Ob der Zuschauer konzentriert vor dem Fernseher sitzt oder zugleich anderen Tätigkeiten nachgeht, ist für die Werbe-Industrie sekundär (nicht nachprüfbar). Hauptsache eingeschaltet. Heute sind die meisten TV-Formate ohnehin stark Dialog-lastig, damit sie auch beim Nicht-Hinsehen gehört werden.

Die Werbe-Wirtschaft ist nach wie vor auf die klassische Ziel-Gruppe der 14 – 49-Jährigen fixiert. Je höher die Quote in diesem Zuschauer-Segment, desto teurer lassen sich die Werbe-Sekunden verkaufen.

Dass die über 50-Jährigen aufgrund der zunehmenden Überalterung der Gesellschaft eine immer grössere Bevölkerungs-Schicht stellen, hat an dieser Optik noch nicht viel geändert. Früher als „Senioren" bezeichnet, spricht man heute von „Generation 50+, Best Ager, Golden Ager, Silver Spender" etc. – Ausdruck dafür, dass die „Neuen Alten" ein grosses Potential für die Wirtschaft beinhalten. Daher dürfte wohl der Fokus der Werbe-Wirtschaft in einigen Jahren stärker auf den 35 – 65-jährigen Konsumenten und deren steigender Finanz-Kraft liegen.

Das Fernsehen gilt längst als „Tages-Begleit-Medium". Der Begriff bedeutet gemäss der deutschen Publizistin, Autorin & Medien-Kritikerin Barbara Sichtermann, dass „alle nur noch hin & wieder, dann aber genau hingucken. Die unverbindliche Tages-Begleitung dominiert seit 1984, seit der Einführung des Privat-Fernsehens. Für den Wandel haben die aus Finanzierungs-Gründen notwendigen mehr-minütigen Spot-Blöcke gesorgt."

„Die Werbe-Blöcke", so Sichtermann, „weichen die Konzentration auf und banalisieren das Medium unweigerlich, sie geben dem Gesamt-Programm eines Senders den beiläufigen & zufälligen Charakter."

Mit der Ausbreitung des Privat-Fernsehens wurden auch die Fernbedienungen immer exzessiver genutzt. Einerseits aufgrund der Ausweitung der Programm-Vielfalt – andererseits aber auch wegen der Ausweitung der TV-Werbung. Während die Privat-Sender möglichst viele möglichst teure Werbe-Spots platzieren wollen, sind die Zuschauer zunehmend auf der Flucht davor. Mit speziellen Programmen lassen sich Werbe-Blöcke auch überspringen bzw. herausschneiden.

Daher haben sich neben der Unterbrecher-Werbung mit Spots zunehmend auch andere Formen der Fernseh-Werbung etabliert: Programm-Sponsoring, Werbung im Split-Screen (aufgeteilter Bildschirm), Premieren von Werbe-Spots, Kurz-Unterbrechungen mit nur einem Spot, Werbung im Teletext/Internet oder Product Placement (gesponserte Produkt-Platzierungen in populären TV-Sendungen & Filmen). Und natürlich immer & überall PR (Public Relations), das Einschmuggeln von Meinungs-Bildungs- & Werbe-Inhalten in vermeintlich „neutrale" Programm-Teile.

Daneben werben die Fernseh-Sender auch ausführlich für sich selbst und ihre Programme. Eigen-Werbung dient der besseren Zuschauer-Bindung, der Differenzierung von der Konkurrenz und allenfalls der Überbrückung von Lücken in Werbe-Blöcken. Sogenannte Programm- & Image-Trailer stellen ein wichtiges Marketing-Instrument für die Sender dar. Fünf bis acht Mal muss ein Zuschauer einen Trailer sehen, damit die Botschaft ankommt, sagen erfahrene TV-Macher.

Noch werden viele Werbe-Blöcke geschaltet, obschon diverse Markt-Untersuchungen zeigen, dass die Spots von immer weniger Zuschauern aufmerksam verfolgt werden. Entsprechend rüstet die Branche kräftig im Bereich der „versteckten", d.h. nicht offensichtlichen Werbung auf.

Während in den traditionellen Redaktionen mehr & mehr Personal eingespart wird, breiten sich allerorts die „Heinzel-Männchen" von Wirtschaft und Politik aus: Medien-Berater, Image-Berater, PR-Spezialisten („Öffentlichkeits-Arbeiter"), Agenda-Setter (Themen-Lancierer), Spin-Doktoren („Meinungs-Dreher") und andere mehr. Themen, Meinungen & Stimmungen werden zunehmend „industrialisiert", d.h. von gut bezahlten Profis mit klaren Aufträgen gemacht. Die massgeschneidert inszenierten Bilder & Botschaften zielen direkt auf die breite Masse. Spezialisten produzieren Werbung, die nicht gleich als solche erkennbar ist: Sie erfinden fesselnde Geschichten, reissen mit geschickten Aufhängern Themen an, kreieren Medien-Ereignisse aller Art, hieven „ihre" Experten in exponierte TV-Sendungen, sponsern renommierte Events und veranstalten vieles mehr. Alles für die professionelle Image-Pflege, die Verbreitung der sorgfältig formulierten Botschaften bzw. die gezielte (teure) Manipulierung der Massen.

Stark verbreitet in – möglichst populären – Fernseh-Sendungen ist auch das Product Placement, die gezielte Platzierung von Marken-Artikeln in der Handlung von TV-Sendungen & Filmen gegen teures Entgelt. Ein Beispiel: In der amerikanischen TV-Serie „Monk" (Produktion 2002 – 2009), die auch im deutschsprachigen Raum ausgestrahlt wurde/wird, trinkt die Haupt-Figur Adrian Monk „Sierra Springs" Mineralwasser. Diese Quellwasser-Marke wird v.a. an der amerikanischen West-Küste vertrieben. Des weiteren tauchen in der Serie Feucht-Tücher „Lever 2000", die von Captain Stottlemeyer im Büro genutzten bekannten Computer-Marken und andere Produkte mehr auf.
                                                                                                                                                                                    
Ein Grossteil der Werbung – ob nun ganz offen oder mehr oder weniger geschickt in die Handlung mit eingebaut – ist leider ästhetische & mentale Umwelt-Verschmutzung. Und/oder langweilig-banal. Es fehlt allerorts an Kreativität, an Witz, an Engagement und zündenden Ideen. Und sehr oft auch daran, dass die beworbenen Produkte & Dienstleistungen schlicht & einfach nicht zum Spot passen. Machen Sie einmal kurz folgenden kleinen Test: Von den vielen Tausend TV-Spots, die Sie in Ihrem Leben gesehen haben – können Sie spontan 10 gute nennen? Oder auch nur fünf?                                                                      

Leider ist meiner Ansicht nach – und ich sage das nicht gerne – über 90% der Werbung teurer Schrott. Ich habe nie verstanden, dass man für so schlechte Arbeit auch noch so gut bezahlt werden kann. Natürlich inspiriert nicht jedes Produkt & jede Dienstleistung zu geistigen Höhenflügen. Aber so ein bisschen was Ansprechendes sollte man sich für die fetten Gagen schon einfallen lassen. Nur lutschen die Werber lieber zum 100. Mal am gleichen ausgesaugten Klischee oder bemühen gleich ohne Umschweife die Vergangenheit. Wie hiess das damals in den 70er & 80er Jahren? „Campari – was sonst". Daraus machen wir einfach auf gut Neu-Deutsch „Nespresso – what else". Na prost dann (und diese Werbung gehört noch zu den besseren) ...

Elisabeth Murpf, eine Schweizer TV-Zuschauerin, hat den zunehmenden Werbe-Überdruss in der Fernseh-Zeitschrift „Tele" auf den Punkt gebracht:

Ich schlage vor, das Schweizer Fernsehen strahlt neben SF 1 und SF 2 ein drittes Programm aus. Das besteht ausschliesslich aus Dauer-Werbung. Damit ist allen gedient, besonders den Zuschauern, die endlich ihre Ruhe vor diesen Spots haben.


PS: Facebook testet angeblich einen neuen „Want"-Button („Will ich haben"), der analog zum bekannten „Like"-Button („Gefällt mir") funktioniert. Nutzer könnten damit – vor allem auf kommerziellen Seiten – Vorlieben für bestimmte Produkte & Dienstleistungen per Knopfdruck dokumentieren. Und die Firmen & Facebook könnten – wie immer – fleissig Daten sammeln ... Diesmal noch gezielter über kommerzielle Nutzer-Vorlieben ...

Submit to FacebookSubmit to Google PlusSubmit to TwitterSubmit to LinkedIn
Follow me!
5 Minuten & 5 Zutaten – ein Rezept fürs Leben