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The Sopranos – Episode 87 – The Final Countdown

Viel ist diskutiert worden in den letzten Jahren über das Ende der Kult-Fernseh-Serie „The Sopranos“ (eine Serie aus dem italo-amerikanischen Mafia-Milieu). Was ist wirklich passiert dort im Restaurant, nachdem es dunkel geworden ist auf unseren Bildschirmen? Was führte der Typ mit dem „Members Only Jacket“ im Schilde, der in der Toilette verschwand? Hat er Tony erschossen in diesem (fernseh-)geschichtsträchtigen Moment, als der Bildschirm abrupt schwarz geworden und die Musik verstummt ist? Und hätte Tochter Meadow den Mord vielleicht verhindern können, wenn sie schneller eingeparkt und sich rechtzeitig neben ihren Vater gesetzt hätte?

Waren die Glocken-Töne, das Bild mit der orange-farbenen Katze und all die anderen Kleinigkeiten Symbole für den bevorstehenden Tod des Capo von New Jersey? „Du wirst es wahrscheinlich nicht einmal hören, wenn es geschieht …“, wurde ja bereits im Vorfeld prophezeit.

Ist Tony nun gestorben oder nicht?

Natürlich ist er gestorben. Alles andere wäre Wunschdenken. Die Musik hat endgültig aufgehört zu spielen.

Aber – wie so oft im Leben – ist alles ganz anders gewesen damals …

Blicken wir zurück ins Jahr 2007, in die Greater New Jersey Area …

Die Glocke am Eingang des Restaurants bimmelt, Tony Soprano schaut auf …  [und der Bildschirm wird schwarz]

Tochter Meadow betritt das Lokal – winkt und hastet zum Tisch der Familie hinüber: „Hallo, schön euch zu sehen, sorry für die Verspätung, der Verkehr war wieder mal mörderisch, ihr wisst schon …“

Tony kriegt das Eintreffen seiner Tochter nicht mit, er ist kurz weggetreten, hat gerade das Bewusstsein verloren. Der Typ mit dem „Members Only Jacket“ hat ihm – nach Verlassen der Toilette – beim Vorbeigehen kurz von hinten die Knarre an den Kopf gehalten, still und unbemerkt von allen anderen. Kaltes, gnadenloses Eisen, das Todes-Urteil in diesen Kreisen. Tony weiss, was das bedeutet: Dein Tod ist beschlossene Sache, du stirbst demnächst, nicht sofort, nicht hier vor Frau & Kindern, nicht vor so vielen f*cking Zeugen und auch nicht kurz & schmerzlos. Nein, Freundchen, du stirbst langsam & qualvoll, denn wir haben noch eine Rechnung mit dir offen. Die Zeit ist gekommen, diese Rechnung zu begleichen.

Tony ist der Killer der New Yorker Mafia natürlich nicht entgangen, wie er vorhin die Lage abcheckte, wie ein Cowboy über die Prärie blickte, ruhig & entschlossen, ein eiskalter Engel des Todes. Aber erst mit dem Eisen im Nacken durchfuhr ihn der gnadenlose Ernst der Lage. Das Todes-Urteil galt diesmal ihm. Tony wurde schwarz vor Augen, und er sackte in sich zusammen.

Niemand sonst im Restaurant hat die Droh-Gebärde mitgekriegt – auch nicht Tonys Ehefrau Carmela oder sein Sohn Anthony. Die beiden schauten gerade zur Türe rüber, wo Meadow herein eilte: „Hallo Schatz, schön dich zu sehen, stimmt, der Verkehr ist mörderisch um diese Zeit. Alles gut gelaufen beim Doktor?“ Erst nach einer kurzen Begrüssung bemerkt man gemeinsam, dass Tony weggetreten ist.

„Mensch Papa … so geschockt, mich zu sehen?“

Carmela eilt auf die andere Seite des Tisches rüber, tätschelt Tonys Wange, redet auf ihn ein, alle reden auf ihn ein, reden ihm gut zu – und nach kurzer Zeit kommt Tony wieder zu sich. Wo bin ich, was ist geschehen? Ein kurzer Moment des gnädigen Vergessens – aber schon kommt langsam die Erinnerung zurück: Du bist ein toter Mann, Tony. Liquidiert, ausgelöscht, beseitigt, entehrt. Du bist tot, Tony. Terminiert.

„Familie“ – das Monster, das beisst & umarmt …

Familie – das Monster, das beisst & umarmt …

Carmela legt den Arm um ihren Mann: „Soll ich einen Arzt rufen?“ Aber Tony hat gründlich die Nase voll von Ärzten nach seinen langen Krankenhaus-Aufenthalten infolge der Schuss-Verletzung durch Onkel Junior. Er winkt ab – er hat jetzt andere Probleme … Was soll ich tun? Wie soll ich reagieren? Der Capo von New Jersey kann nicht einfach kapitulieren vor diesen verdammten New Yorker W*chsern, ich muss etwas tun, nur what the f*cking f*ck was?

Tony kann sich seiner Familie nicht mitteilen. Frau & Kinder wissen zwar um seine Mafia-Zugehörigkeit, wissen, dass er nicht nur im „normalen“ Abfall- & Bau-Geschäft tätig ist, wissen, der gehobene Lebens-Standard hat andere Hintergründe, aber sie kennen keine Details. Tony hat sie nie mit hineingezogen in seine Schein-Geschäfte aus Lug & Betrug, Drohung & Erpressung, Mord & Totschlag – in erster Linie zu ihrem eigenen Schutz. Hat höchstens mal in der einen oder anderen Situation ein bisschen Unterstützung von seiner Familie eingefordert … ohne gross Erklärungen abzugeben … Wie soll man schon einen Mob-Job erklären, wo ausschliesslich Schmerzensgeld & Schmutz-Zulagen bezahlt werden … und der einen jederzeit das Leben kosten kann …

Tony kann sich seiner Familie auch jetzt nicht offenbaren, hier & heute, im Angesicht des Todes. Für eine winzige Sekunde hat er daran gedacht, den Gedanken aber sofort wieder verworfen. Aber wer kann ihm jetzt noch helfen? Wem kann er in dieser Situation noch vertrauen? Wer ist überhaupt noch da, noch nicht längst selber umgebracht worden? Und wer hält noch zu ihm aus der „Familie“? Nach all den Jahren, wo er alles andere als zimperlich gewesen ist mit Austeilen nach allen möglichen & unmöglichen Seiten? Who the f*ck hält jetzt noch zu ihm? Und wer hat ihn bloss verraten an die New Yorker Mafia? Welche verdammte Ratte schmeisst ihn dem Killer zum Frass vor? Wer? Wann? Wie? Wo? Was ist geplant? Wie soll es geschehen? Die halbe Stadt hat Grund, ihn zu töten (der Rest kennt ihn nicht). Manche aus der Community sagen auch: „Ich bete für dich, Tony“ – aber das ist nur eine christlichere Ausdrucksweise für „Ich hasse dich.“

Und warum gleicht dieser f*cking Killer so sehr meinem verstorbenen Vater? Was hat das alles zu bedeuten? What the f*ck hat das alles zu bedeuten? In Tonys Kopf arbeitet es fieberhaft …

Der Members-Only-Killer hat das Lokal verlassen, es herrscht muntere Betriebsamkeit, als wäre nichts geschehen … Als wäre nicht einer der Gäste soeben an der End-Station seines Lebens angekommen. Und würde in einen reissenden Abgrund hinein blicken, aus dem es kein Entrinnen mehr gibt. Wenn du lange genug in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in dich hinein, warnte schon Nietzsche. Tonys Psychiaterin hat ihn vielleicht darauf aufmerksam gemacht, und Tony hat vielleicht sogar zugehört – aber für ihn blieb nun mal der schnellste Weg, eine Waffe zu säubern, die nächste Liquidation. Wozu sollte auch eine ungeladene Knarre gut sein …

Carmela und die Kinder schreiben Tonys kurzen Aussetzer seinem noch immer geschwächten Gesundheits-Zustand nach der schweren Schuss-Verletzung durch Onkel Junior zu. Und den vielen sonstigen Problemen & Aufregungen der letzten Monate … Und Carmela denkt an ein altes italienisches Sprichwort: „Wenn du über 40 bist und dir morgens nichts weh tut, bist du tot.“

Tony streicht im Gedanken Onkel Junior von der Liste der Verdächtigen, zu alt, zu senil, zu dement … Der würde sich am nächsten Tag nicht einmal mehr daran erinnern, ob er beim Killer eine Pizza, eine Members-Only-Jacke oder einen Mord bestellt hätte … Und warum zum Teufel heisst der Älteste der Familie eigentlich immer noch Junior? Aber Tony weiss, das ist jetzt der f*cking falsche Zeitpunkt für diese Frage …

Er weiss auch: In diesem Lokal bin ich sicher. Hier im Kreise meiner Familie bin ich sicher. Familiäre Ehrensache sozusagen. Aber sobald ich auf die Strasse hinaus trete, bin ich Freiwild … Wo wird mir diese fiese Ratte auflauern? Wem von diesen f*cking Idioten da draussen kann ich jetzt noch trauen? The silicon chip / inside his head / gets switched / to overload, aber wir sind nicht in einem Song hier. Das ist bloody f*cking real. Tony kriegt nur noch bruchstückhaft mit, was am Tisch alles geredet wird …

Er realisiert auch nur am Rande, dass Carmela gerade eine Bekannte an den Tisch heranwinkt, Liz La Cerva, die Mutter der vermissten Adriana La Cerva, die mit Tonys Protegé Christopher Moltisanti verlobt war. „Hey Liz, schön, dich zu sehen, wie geht’s dir? Gut schaust du aus … Wie gefällt’s dir im neuen Job hier, hast du dich schon gut eingelebt? Komm her, setz dich kurz zu uns, schon ein Weilchen nicht mehr gesehen, nimm Platz. Schau mal, Tony, ich hab‘ dir doch von Liz und ihrem neuen Job erzählt, was empfiehlst du uns, Liz? Ist dieser ‚Burger Diavolo Deluxe‘ einen Versuch wert?“

Tony murmelt eine kurze Begrüssung, schaut kaum hin …

„Du musst ihn entschuldigen“, meint Carmela, „er hatte gerade einen kleinen Schwäche-Anfall, du weisst schon, all die Aufregungen in letzter Zeit … Aber sag mal, wie geht‘s dir so? Und hast du etwas gehört von Adriana?“

Adriana war die langjährige Freundin und spätere Verlobte von Tonys Verwandtem & Mitarbeiter Christopher Moltisanti. Chris hatte in der Mafia von New Jersey eine steile Karriere gemacht – dank Tony, der ihn als Zieh-Sohn betrachtete, da Chris‘ verstorbener Vater eine Art Mentor für Tony gewesen war. Er liess seinem Protegé denn auch manches durchgehen, was andere Kopf & Kragen gekostet hätte. Christophers Jähzorn etwa, sein zunehmender Drogen-Konsum oder die schlechten Drehbücher, die er in seiner Freizeit schrieb. Und bei denen Tony nicht immer gut wegkam …

Christopher hatte neben seiner Mafia-Karriere noch andere Ambitionen: Er strebte – mal weniger, mal mehr – eine Karriere als erfolgreicher Drehbuch-Autor in Hollywood an und konnte auch bereits kleinere Erfolge vorweisen. Er schrieb zwar weder gut noch einfallsreich, spickte seine Texte aber mit sehr viel plastischer Gewalt, und das kam in gewissen Kreisen durchaus an. Brutal realistisch, hiess es gerne. Dass es ganz einfach die Realität war, wusste niemand. Oder behielt es tunlichst für sich, mit der Mafia wollte man sich nicht anlegen. Kreativität war jedenfalls nicht Chris‘ Stärke – zumindest nicht beim Schreiben.

Chris stand kurz vor der Hochzeit mit Adriana, als er herausfand, dass seine Verlobte mit den Behörden kooperierte und Informationen gegen Tony Soprano und die „Familie“ sammelte. Adriana wollte das nicht, sie gab auch nur sehr zurückhaltend & widerwillig relativ unbedeutende Mafia-Geheimnisse preis. Sie hatte sich überschnell vom FBI einschüchtern lassen und war eingeknickt, obschon wenig gegen dieses schwache Glied in der Familien-Kette vorlag. Fortan führte Adriana ein ziemlich unglückliches Doppel-Leben – bis zum Auffliegen des erzwungenen „Verrats“.

Chris hat Adriana geliebt, sie war wohl das Beste, was ihm im Leben passiert ist. Es brach ihm das Herz, als er den Verrat entdeckte und Tony meldete. Tony liess die Abtrünnige kurz darauf umbringen – in Absprache mit der „Familie“. Adriana wurde ins Auto gelockt und von Tonys rechter Hand, Silvio Dante, in einem Waldstück getötet & verscharrt.

Adrianas Mutter Liz La Cerva – und dem gesamten Umfeld – wurde mitgeteilt, Adriana hätte Chris Knall auf Fall verlassen, einfach so, kurz vor der Hochzeit, ohne jegliche Erklärung – und man hätte nichts mehr gehört von dieser blöden, untreuen Schlampe.

Liz La Cerva hat diese Version freilich nie geglaubt, sie hatte ein enges Verhältnis zur Tochter, sie wusste, Adriana wäre niemals einfach abgehauen, schon gar nicht kurz vor der Hochzeit. Sie liebte Chris, sie liebte ihn aufrichtig, trotz all seiner Fehler & Macken. Sie hatte lange auf den Heirats-Antrag gewartet, Mutter & Tochter freuten sich auf die bevorstehende Hochzeit, schmiedeten Pläne und blickten erwartungsvoll in die Zukunft. Und schon gar nicht hätte sich Adriana einfach nicht mehr gemeldet – das war überhaupt nicht ihre Art. Liz wusste, da musste etwas Schreckliches passiert sein. Sie spürte, dass ihre Tochter nicht mehr am Leben war. Und sie beschuldigte ganz offen ihren Beinahe-Schwiegersohn Christopher, ihre Tochter getötet zu haben. Irgend etwas musste er damit zu tun haben …

Sie sprach auch mit Carmela darüber – und eine Weile lang hegte selbst Carmela den Verdacht, dass Chris & Tony etwas mit Adrianas Verschwinden zu tun haben könnten. Aber Carmela liess sich von Tony beschwichtigen, das seien alles nur Hirn-Gespinste, Chris habe Adriana geliebt, er hätte sie nie töten können und leide vielmehr darunter, dass sie ihn so schnöde habe sitzen lassen. Auch Carmela hatte Adriana gern gehabt, auf ihre Weise, und manchmal erschien ihr Adriana sogar im Schlaf. Wie ein schöner Engel schwebte sie durch Carmelas Träume – ohne aber ihr Geheimnis zu lüften.

„Die Toten“, meinte einmal Tonys Schwester Janice so schön, „haben uns nichts mitzuteilen. Das ist nur unser Narzissmus, der will, dass sie weiter Anteil nehmen an unserem Leben …“

Chris heiratete bald darauf trotzig eine andere, seht alle her, kein Problem, es geht mir gut … Aber er nagte schwer am Verlust von Adriana, verfiel in der Folge immer mehr den Drogen und steuerte unaufhaltsam auf sein eigenes Ende zu – das ihn schliesslich nach einem Auto-Unfall in den Armen von Tony ereilte. Wobei Tony am Ende noch ein bisschen nachgeholfen hat …

Zusammen mit Chris‘ Witwe kümmerte sich Tony eher widerwillig um den Nachlass. Er wollte vor allem verhindern, dass irgendwelches belastende Material in falsche Hände geriet. Tony steckte zu diesem Zeitpunkt allerdings selber in einer tiefen Krise, seine Gesundheit, die zerrüttete Ehe, die Probleme des Sohnes, die Probleme in der „Familie“ und und und … So fiel denn die Sichtung des Nachlasses recht oberflächlich aus, zumal sich auch das Verhältnis zu Chris gegen Ende ziemlich abgekühlt hatte. Der heftige Drogen-Konsum, die häufigen Ausraster, die steigende Unberechenbarkeit … Chris war zunehmend zum Ärgernis & Risiko für die Familie geworden.

Ein hand-beschriebenes Heft mit der Aufschrift „Love Story“ blätterte Tony nur kurz durch, las ein paar Sätze aus den Anfangs-Passagen und überflog kurz den Schluss – und stellte fest: Ein weiteres schlechtes Drehbuch aus der Feder von Christopher Moltisanti. Und erst diese hässliche, schwer entzifferbare Handschrift … Diesmal ging es um eine Liebes-Geschichte, offenbar hatte Chris die besseren Zeiten mit Adriana zu einer schnulzigen Love Story verarbeitet. Soll er doch, dachte Tony, meinen Segen hat er, wenn es ihm denn geholfen hat, über seine grosse Liebe hinwegzukommen. Vielleicht würde es auch Adrianas Mutter helfen, schwarz auf weiss nachzulesen, wie sehr Chris ihre Tochter geliebt hat. Vielleicht würden dann auch die ständigen Vorwürfe & Beschuldigungen aufhören …

Und so stand der Capo von New Jersey eines Tages persönlich an der Türe von Liz La Cerva und überreichte ihr ein paar Erinnerungs-Stücke an Adriana & Chris … Und wahrscheinlich hat er nicht einmal die leise Glocke wahrgenommen, die klingelte, als er eintrat …  

Liz tat dann das, was Tony sträflicher Weise unterlassen hatte: Sie las das Drehbuch ganz genau durch, Seite für Seite, Satz für Satz, Wort für Wort … und sie konnte kaum fassen, was sie da in den Händen hielt: Die Beschreibung einer grossen Liebe, ja, auch das. Aber vor allem die haargenaue Schilderung der Ermordung ihrer geliebten Tochter Adriana, in allen entsetzlichen, furchtbaren Einzelheiten. In allen noch so grausamen Details. Es stand alles da, holprig & schlecht zwar – aber es stand genau so da, wie es geschehen war. Adriana hatte ihrer Mutter oft genug erzählt, wie extrem nah entlang der Realität Chris immer zu schreiben pflegte. Und wie sie ihn schon damals gewarnt hatte, dass ihm das noch eines Tages zum Verhängnis werden würde …

Am Ende von „Love Story“ hatte Chris eine kleine Rückblende auf den Anfang eingebaut, um der ganzen Geschichte, naja, nicht gerade ein Happy End, aber wenigstens einen versöhnlichen Ausklang zu verpassen. Und so war Tony auch nicht aufgefallen, was da alles zwischen Anfang und Ende stand. Aber Tony war nun mal einer jener Männer, die sich beim Lesen gerne auf Konto-Auszüge & Speisekarten beschränken. Und Liebes-Romane ganz besonders verabscheuen. Wie sagte er einmal ziemlich genervt zu Chris: „Mit deinen Gefühlen wische ich mir den A*sch ab.“

Liz dachte daran, wie sehr Adriana als Kind den Film „Love Story“ mit Ali MacGraw geliebt hatte. Und wie oft sie ihn zusammen angeschaut hatten. Und wie sehr Adriana jedes Mal wieder von neuem gehofft hatte, diesmal stirbt sie nicht …

Tony hatte also den Auftrag zum Mord erteilt. Und Silvio Dante, seine rechte Hand, amtete als Vollstrecker. Chris hatte sich nicht einmal die Mühe gemacht, die Vornamen der Protagonisten in seinem Script zu verändern. Silvio Dante hiess jetzt einfach Silvio Napoli – und aus Tony Soprano war Tony Maroni geworden.

Silvio, die miese Ratte, lag unterdessen im Koma, er konnte – zumindest auf absehbare Zeit – nicht belangt werden. (Er fand, wie sich Jahre später herausstellen sollte, Unterschlupf in einem Zeugen-Schutz-Programm sowie eine neue Identität im norwegischen Lillehammer …)

Aber Tony, Tony ist da – der Drahtzieher & Auftraggeber. Tony, das feige A*schloch, das ihr immer wieder ins Gesicht gelogen hat, er wisse nichts über Adrianas Verschwinden. Tony, dieser Depp, der eines Tages mit allen Beweismitteln in der Hand vor der Türe steht, der ist da … Tony, der mich einmal mehr belügen & besänftigen wollte – aber zu blöd und zu faul war, das Material genauer zu sichten … Das Leben, dachte Liz, schreibt viel verrücktere Geschichten, als sie der verrückte Chris jemals hätte ausdenken können.

Tony Soprano – ich schwöre, deine Tage sind gezählt …

Liz war klar, dass Tony seine Frau Carmela nicht eingeweiht hatte, dass sie nicht Bescheid wusste. Aber das würde sich bald ändern …

Und so setzt sich Liz La Cerva kurz an den Tisch der Sopranos: „Hallo, wie geht es euch, Carmela, Mead, Anthony … Ja, ich bin seit kurzem hier, ist ganz ok soweit … Ihr habt wohl auch nichts von meiner Tochter gehört? Carmela? Oder du etwa, Tony?“

Tony schüttelt langsam & wortlos den Kopf, schaut kaum auf …

Carmela freut sich, Liz wieder in besserer Verfassung zu sehen nach ihrem noch nicht allzu lange zurückliegenden Selbstmord-Versuch. Sie hatte ja anfänglich selbst Zweifel an Tonys Aussagen und konnte Liz‘ Mutmassungen gut verstehen. Mittlerweile waren ihre Zweifel aber weitgehend begraben. Nein, Chris hätte Adriana nicht umbringen könnten, das hätte er nicht fertiggebracht …

Kurzes, betretenes Schweigen, dann meint Liz: „Ich kann euch diese ‚Burger Diavolo Deluxe‘ sehr empfehlen, sie sind wirklich teuflisch gut – und anschliessend müsst ihr unbedingt mein hausgemachtes Orangen-Tiramisu probieren, ein altes Rezept aus der Heimat, ihr wisst ja, Adriana wäre gestorben dafür … Zumindest du, Tony … Ich weiss, ihr Damen hält euch zurück beim Dessert, und Anthony neuerdings auch … Aber dir, Tony, konnten die Tiramisu-Portionen ja noch nie gross genug sein.“

„Danke, Liz“, sagt Carmela, „Tony wird eine süsse Stärkung nach seinem Schwäche-Anfall gut tun … Also 4 x Burger und 1 x Tiramisu … Und Wasser und eine Flasche ‚Primitivo‘ …“

„Gerne, kommt gleich …“ Läuft ja alles wie am Schnürchen, denkt Liz, während sie sich erhebt. Greif zu, lieber Tony – es wird eine unvergessliche Erinnerung … 

Tony, der mit dem Rücken zur Wand gelebt & gespeist hat, ahnt nicht, dass Gefahr nicht primär von irgendwelchen finsteren Gestalten an den Nebentischen droht, sondern von ganz anderswo. Von seinem Teller.

Und Tony merkt auch nicht, dass die ersten Töne von „Killing me softly“ erklingen, als das Dessert serviert wird. Er stellt bloss fest, dass Liz recht hatte mit den Burgern – und erst das Tiramisu, der Hammer. Liz hat sie drauf, die gute italienische Küche – genau wie seine Carmela. Nur merkt Tony leider nicht, dass das hausgemachte Orangen-Tiramisu ausnahmsweise um eine fatale kleine Zutat ergänzt worden ist: Ein geschmackloses, ziemlich schnell wirkendes, starke Schmerzen verursachendes und absolut tödliches Gift (wir lassen es hier aus verständlichen Gründen ungenannt …). Das Dessert ist kaum verspeist, beginnt es zu wirken …

Die Schmerzen verstärken sich rasch, und diesmal lässt Carmela die Einwände ihres Mannes nicht gelten. Ein Arzt muss her … nein, ein Krankenwagen … schnell, Liz, ruf‘ die Ambulanz …

Und Liz La Cerva ruft einen Krankenwagen für Tonys letzte Reise … Gute Fahrt, lieber Tony, gute Reise ins ewige innere Fegefeuer … schöne Grüsse ans Gedärm … und schöne Grüsse auch an Chris. Du hattest ein schlechtes, schwaches Herz, mein Lieber – in mancherlei Hinsicht …

Einmal hatte Liz geträumt, Tony wäre an einem Herz-Infarkt gestorben, an einem heissen Sommer-Tag nach einer Besichtigungs-Tour in Rom … Rom sehen & sterben, wie es so schön heisst … Aber eben, war nur ein Traum … Wenngleich natürlich Träume & Fiktion oft mehr Sinn ergeben als die Realität … Aber letztlich sind alles nur verschiedene Formen virtueller Realität ... Je nachdem, von welcher Seite man es betrachtet …  

Als Tony von den Sanitätern abtransportiert wird, scheint es, als würde die orange-farbene Katze an der Wand zufrieden lächeln …

Auf dem Weg ins Spital denkt Tony unter zunehmenden Schmerzen ans Las Vegas der 60er & 70er Jahre, wo manch einer vor der Mafia ins Krankenhaus geflüchtet war und dort mit den Ärzten einen Deal ausgehandelt hat, um schmerzfrei & unbehelligt für immer einzuschlafen – und so der Mafia zu entfliehen. Denn von Seiten der korrupten Polizei war keine Hilfe zu erwarten. Und er denkt an das besch*ssene Ende von Tony Spilotro in den 80er Jahren, das endgültig eine neue Ära in Las Vegas eingeläutet und die bröckelnde Mafia-Herrschaft beendet hat. Tony Spilotro – Tony Soprano – Soprotro – Las Vegas – New Jersey – New Vegas – Casino – Strip-Club – Orte & Zeiten beginnen zu verschmelzen in Tonys Kopf & Magen … Verdammte Sche*sse, was ist das für ein besch*ssenes Ende, was sind das für besch*ssene Schmerzen …

Tonys allerletzter Gedanke gilt dem Members-Only-Killer, hätte dieses Schwein doch abgedrückt vorher im Restaurant, kurz & schmerzlos, hätte diese miese Ratte doch wenigstens gleich abgedrückt … anstatt mich qualvoll zu vergiften, dieser verdammte Huren-Sohn …

Die Wahrheit hat Tony nicht mehr erfahren … Aber er hat sich auch vorher wenig darum geschert … Er war oft der Einzige, der redete – ersparte ihm Zeit & Missverständnisse. Und oft genug auch unangenehme Wahrheiten. Never miss a good chance to shut up …

„Du wirst es wahrscheinlich nicht einmal hören, wenn es geschieht …“ ist ein frommer Wunsch geblieben. Für Tony und seine Gedärme, für Tonys Schwager Bobby und für viele andere …

Am nächsten Tag ging die Meldung um die Welt, dass der „Müll-Entsorgungs-Berater“ Tony Soprano, der Mafia-Boss von New Jersey, nicht mehr am Leben sei. Und es gab viele Schlagzeilen im Stile von „Die Rache war besonders süss“ – auch wenn zu diesem Zeitpunkt erst wenige Einzelheiten bekannt waren.

Liz La Cerva hat sich gleich am nächsten Tag der Polizei von New Jersey gestellt und das „Drehbuch“ mit den Hintergründen ihrer Tat den Beamten übergeben. Sie wusste, ihre Strafe würde milde ausfallen, aus verschiedenen Gründen. Und sie wusste auch, jetzt standen mehrere Wiederaufnahme-Verfahren an. Auch jenes ihrer Tochter Adriana. Und jeder da draussen würde endlich erfahren, was mit ihrer Tochter geschehen war …

Mit dem familiären Hintergrund von Liz La Cerva standen alle Vorzeichen auf Rache – und mit diesem Hintergrund ist es auch nicht schwierig, an Waffen, Munition, Gifte oder was auch immer zu kommen. Liz fühlte sich denn auch befreit nach der Tat, befreit von der schrecklichen Ungewissheit über das Schicksal ihrer Tochter, befreit von Chris und nun auch von Tony – und befreit von langer Schlaflosigkeit, zunehmender Depression und fehlgeschlagenen Selbstmord-Versuchen. Jetzt konnte sie wieder vorwärts schauen. Und was sie vor sich sah, gefiel ihr. In der „Familie“ sind Rache & Genugtuung zentral, da machte Liz keine Ausnahme. Das ist vielleicht in einer Zeit der „Positiv-Denken-Dogmas“ (Tony nannte das „Positiv-Denken-Terror“, und er hatte verdammt recht damit …) schwer nachzuvollziehen.

Aber alles im Leben hat zwei Seiten. Und schon Rilke – und viele andere – lehrten uns, dass das Schöne nur des Schrecklichen Anfang ist … und umgekehrt. Und dass es Dinge gibt, die niemand von uns ändern oder schön-denken kann – nur aushalten. Und aushalten ist manchmal schon sehr viel …

Meadow musste einmal in der Schule eine deutsche Geschichte lesen, eine Geschichte aus dem Märchen-Land, wo die „bösen“ Figuren eines Tages die Schnauze voll hatten und sagten: Fertig, Schluss – uns reicht’s! Wir hauen ab! Wir haben die Schnauze gestrichen voll davon, immer die Bösen zu sein, immer für alles herhalten zu müssen, immer schlecht dazustehen, immer die moralische Keule vor der Nase zu haben – nur damit sich die „guten“ Figuren im besten Lichte sonnen können. Und so zogen sie von dannen … Zuerst fanden das die „Guten“ im Märchen-Land ganz angenehm, endlich war alles friedlich & gut … Aber wenn alle gut sind, ist letztlich gar nichts mehr gut, weil man sich gegen nichts „Schlechtes“ mehr abheben kann. Und wie die Zeit so ins Land zog, wurden die „Guten“ immer genervter & angesäuerter, denn sie konnten ihr „Gut-Sein“ nicht mehr richtig zur Schau stellen – bis sie am Ende der Geschichte auf den Knien winselnd die „Bösen“ anflehten, doch bitte bitte bitte wieder zurück zu kommen ins Märchen-Land.

Tony mochte die Geschichte – sie erinnerte ihn an einige selbstgefällige Schabracken aus der High Society von New Jersey, Gattinnen prominenter & betuchter Männer, ein bisschen in die Jahre gekommen, die Model-Karriere schon lange hinter sich, den „Champagne Supernova“ neben sich – die perfekte Kulisse für eine gehobene Beschäftigungs-Therapie namens Charity. Ein Spielfeld für Damen, die gerne zum Mikrofon greifen – und ein Publikum, dem es nichts ausmacht, dass die Stimmen noch schlimmer sind als die Probleme.

Ein Betätigungs-Feld, wo man sich wohlig im Blitzlicht der Wohltätigkeit sonnen und sich ach so interessiert am Wohlergehen nicht ganz so privilegierter Mitmenschen zeigen darf. Oder sich für die bedrohte Natur einsetzt. Oder für Tiere. Oder für den Welt-Frieden. Welt-Frieden ist immer gut. Oder zumindest Frieden in den weniger privilegierten Wohn-Vierteln von New Jersey.

Die Tiere lagen Tony bekanntlich auch am Herzen … neben der Familie … der (meiste) Rest ging ihm ziemlich am A*sch vorbei …

Auf Tonys Grabstein steht: „Try to remember the times that were good.“ Versuche dich an die guten Zeiten zu erinnern. Einer seiner letzten Sätze im Kreise der Familie. Die Beerdigung war denn auch ein unvergessliches Ereignis, es hätte Tony bestimmt gefallen. Er meinte zwar zu Lebzeiten immer, warum soll ich zu den Begräbnissen der anderen gehen, die kommen ja auch nicht zu meinem. Aber hingegangen ist er dann meistens doch. Und auch wenn sich einige Gäste zuraunten: „Tony ist so tief gesunken – der müsste hochkriechen, um die Hölle zu erreichen“, flossen viele Tränen …

Denn wer ihn ein bisschen besser kannte, wusste & weiss, wie viele gute Seiten er eben auch gehabt hat. Und jeder der „Familie“ & Familie hat seine ganz persönlichen Erinnerungen an Tony, an ganz persönliche gute Zeiten mit caro mio Tony. Carmela schaute so gut wie möglich darüber hinweg, dass auch ein paar andere Damen gekommen waren und einige verschämte Tränen wegdrückten. „Natürlich kann man ewige Treue schwören – man kann auch schwören, ewig schön zu bleiben“, pflegte Tony gern zu sagen.

Es hätte ihm wohl gefallen, zu sehen, wie viele Menschen ihn trotz allem geliebt haben … und wie viele um ihn trauerten … manche davon ganz heimlich … Und wie viele bedauerten, dass mit Tony nicht nur ein Leben, sondern eine ganze Ära zu Ende gegangen war.

Den alten Schlachtruf des Mob – „Life goes on, but not necessarily yours!“ (das Leben geht weiter, aber nicht unbedingt deins) – würde man künftig wohl nicht mehr so häufig hören. Und auch nicht den Schlachtruf der New Jersey Crew: „Wer dem fetten Vito in den A*sch fährt, hat Vorfahrt.“

„Jetzt wird einem die Arbeit schon von Frauen abgenommen“, dachte der Members-Only-Killer, als er zu Hause in New York die Spesen-Abrechnung ausfüllte.

Christophers letztes Drehbuch wurde erfolgreich verfilmt unter dem Titel „Jersey Love Supreme“ (und um einen neuen Schluss erweitert) – und auch das hätte Tony wahrscheinlich gefallen. Und auch Christopher. Man hat die ganze Geschichte ein wenig zurechtgebogen & überzuckert, den einzelnen Charakteren mehr Tiefgang & Grösse übergestülpt, Christophers Liebe zu Adriana kino-gerecht überhöht, die „Familie“ romantisiert und Onkel Junior gleich mehrfach eine sentimentale Italo-Schmonzette trällern lassen. Und so kamen Tony und auch Christopher letztlich gar nicht so schlecht weg in diesem Action-Horror-Mafia-Doku-Liebes-Film. Einem der seltenen Filme übrigens, den sich sowohl Männer als auch Frauen gerne anschauen. Und das liegt nicht nur an George Clooney …

Chris hatte George Clooney noch selber als „Tony“ ausgewählt und ihn auch bereits in einem ersten kurzen Meeting für die Film-Idee zu erwärmen versucht – schliesslich hatte man viele Gemeinsamkeiten: zu viel Latino-Charme, zu viel Sex, zu viele Drogen, die Liebe zu Italien, zu italienischem Essen, zum Film, zu schnellen Motorrädern, zum gefährlichen Leben und anderes mehr. Und man wusste einen guten Espresso zu schätzen. Dachte Chris zumindest, bis es sah, wie sich George vergeblich mit einer Nespresso-Kapsel an der Maschine hinter sich abmühte … für die er schliesslich für viele f*cking Millionen Dollar Werbung machte. Aber schon eilte eine Assistentin zu Hilfe – und als George dann beim Café so beiläufig erwähnte, er würde sich lieber von einem Arzt mit eiskalten Fingern am Rektum untersuchen lassen als bei Facebook mitzumachen, wusste Chris, der hat die richtige Härte für die Rolle.

Wenn Onkel Jun dann allerdings gegen Ende von „Jersey Love Supreme“ an der Beerdigung „My Way“ singt, werden auch bei manch hartgesottenem Kerl die Augen feucht … Obschon Junior – genau wie Frank Sinatra bei seinen späten Auftritten – den Text, den alle Zuhörer/innen auswendig kennen, ablesen muss …

Regrets? I've had a few. But then again … you're one of them …

Liz La Cerva wurde erwartungsgemäss nur zu einer sehr kurzen, eher symbolischen Haft-Strafe verurteilt. Mit der Genugtuung, die sie für Adrianas Tod ausbezahlt bekam, kaufte sie sich nach ihrer Entlassung das Restaurant, wo sie Tony den süssen Todes-Stoss versetzt hatte. Das Lokal heisst jetzt „Adriana‘s“, und es zieht bis heute eine Menge Schaulustige an. Die Räumlichkeiten wurden völlig neu gestaltet, und auch ein paar Gegenstände aus Adrianas ehemaligem Club fanden Einlass. Beim Eintreten klingelt nichts mehr, die Katze hängt jetzt in der Besen-Kammer, und es erinnert auch sonst nur noch wenig an damals. Wenn man Glück hat, trifft man Liz persönlich im „Adriana‘s“ an, wo sie sich ihrer Tochter am nächsten fühlt. Ein ganz bestimmtes Waldstück hat sie nie aufgesucht.

Adriana wäre stolz gewesen auf ihre Mutter. Manche nennen sie liebevoll „Liz Taylor von New Jersey“. Die beiden Damen teilen nicht nur einen ähnlichen Kleider-Geschmack. Zuweilen denkt wohl der eine oder andere, man könnte die eine oder andere Klamotte ein bisschen leiser stellen. Aber für Liz La Cerva ist endgültig Schluss mit still & leise. Sie ist ein echter „Rebel Yeller“ geworden, lebt jetzt ohne Kompromisse & Zugeständnisse. Es gab zwar auch das eine oder andere Gerücht über Rache & Vergeltung – aber da der Mob Frauen gegenüber eher zurückhaltend reagiert, blieb Liz bis heute unbehelligt.

Der Kontakt zu Carmela Soprano ist abgebrochen. Man munkelt, Carmela habe sich in New York zur Krankenschwester ausbilden lassen, wolle etwas Gutes & Sinnvolles tun – hätte dabei aber ein ziemliches Sucht-Problem entwickelt. Scheint wohl in der „Familie“ zu liegen …

In der (ehemaligen) Villa der Sopranos zog schon bald eine rassige Italienerin ein, die bei schönem Wetter gerne Wäsche aufhängt draussen im Garten. Einige Nachbarn hätten schwören können, die Frau schon vorher hin & wieder in der Nachbarschaft gesehen zu haben … Und ein paar Männer packten plötzlich unaufgefordert bei der Garten-Arbeit an …

Nur die Enten sind nie mehr zurückgekommen …

Vielleicht sind sie ja Tony vorangegangen über den ganz grossen Teich, in die ewigen Enten-Jagdgründe … Wer vermag das schon zu sagen …

Nichts ist jemals nur schwarz oder weiss, nur gut oder böse, erleuchtet oder verdammt in alle Ewigkeit – da draussen herrscht Star Wars, da draussen gibt es so viele Mächte, die wir nur vage erahnen können. Tony, Chris, Junior und viele andere haben versucht, den dunklen Seiten des Lebens ein bisschen Poesie entgegen zu setzen, und manchmal sang Onkel Jun in geselliger Runde den alten Bennato-Song von der Insel, die nicht existiert, von der „Isola che non c'è“: „Seconda stella a destra / questo è il cammino / e poi dritto / fino al mattino / Non ti puoi / sbagliare perché / quella è l'isola / che non c'è.“ Zweiter Stern rechts, und dann geradeaus bis zum Morgen …

Die Insel, die es nicht gibt – die haben sie alle gesucht: Edoardo, Chris, Tony, Mama Livia und all ihre Vorfahren, die damals vor langer Zeit in Italien immer von Amerika geschwärmt hatten – und als sie dann endlich in die USA ausgewandert waren, fast nur noch von der alten Heimat sprachen. Oder Feltrinelli – im Gegensatz zu vielen anderen mit dem Silber-Löffel im Mund und nicht mit der Plastik-Gabel im Hintern zur Welt gekommen –, der mit 15 Dynamit-Stangen am Körper als Terrorist verblutet ist. Oder Che Guevara, „Jesus mit der Knarre“, der wie so viele einmal voller Idealismus die Welt verändern wollte, aber irgendwann gemerkt hat, mit einem Arzt-Köfferchen, gutem Willen & guten Sprüchen alleine ist das nicht zu schaffen. Und vielleicht an einem warmen Sommer-Abend erstmals zur Knarre gegriffen hat … Wer weiss das schon genau … Und irgendwie, irgendwo, irgendwann ist alles ganz schrecklich aus dem Ruder gelaufen …

Und nun sind sie alle tot. Tony, Jimmy, Chris, Bobby, Pussy, Giangiacomo, Che und so viele andere. Nur das Gesicht des Che kann nicht sterben …

Und vielleicht wird uns auch das Gesicht von Tony noch eine Weile begleiten. Vielleicht wird er uns zuweilen im Traum erscheinen, wie früher Big Pussy ihm im Traum erschienen ist. Vielleicht waren es aber auch nur Pussy-Projektionen damals, das schlechte Gewissen, das ganze Gedanken- & Gefühls-Chaos, die Abgründe, die Tony bis in den Schlaf hinein verfolgten … und die uns bis in den Schlaf hinein verfolgen …

Aber vielleicht lächelt Tony in unseren Träumen auch bloss sanft herüber und erinnert uns daran, „nicht zu fest umzurühren im Cappuccino“, eine charmante Ausdrucksweise aus der alten Heimat, die in etwa so viel besagt wie: Schalt einen Gang runter, lass es ein bisschen ruhiger angehen, geniesse auch mal den Augenblick. Und vielleicht hat Tony, hat Jimmy, hat Chris, hat Che und haben all die anderen irgendwie, irgendwo doch noch ihren Frieden gefunden.

Nach Tony Sopranos Tod ist die Mafia von New Jersey („The Farmers“, wie sie vom New Yorker Mob gerne ein bisschen herablassend genannt wurde) langsam auseinander gefallen … genauso wie die Mafia von New York … zu viele Graben-Kriege, zu viele Streitereien, zu viele persönliche Eitelkeiten … und viel zu viele „Familien“-Mitglieder, die zu den Behörden übergelaufen sind. Die „Familien“ von New York und New Jersey gibt es nicht mehr – zumindest nicht in der angestammten Form.

Aber wenn immer jemand umgebracht wird mit süssen Speisen & süsser Musik – dann raunt man sich seit dem Tod des Capo von New Jersey zu, er oder sie „got sopranoed“.

Und so gesehen hat Tony Soprano doch irgendwie überlebt …

 

PS: Nur ein paar junge Frauen aus der Gegend von New Jersey, hübsch & verwegen, verbinden mit diesem Ausdruck bis heute etwas anderes …

 

 

Kurze Begriffs-Erklärung: „Familie“, Boss & Capo

Die amerikanische Mafia hat italienische Wurzeln und war über Jahrzehnte in sogenannten „Familien“ organisiert. Die amerikanische Organisation nannte sich allerdings selber nicht „Mafia“, sondern „La Cosa Nostra“ (= unsere Sache). So gab es in New York fünf traditionelle „Familien“ mit Boss, Under-Boss, Consigliere/Berater sowie einigen Capos/Captains und diversen Soldiers/Members, die mit einer Vielzahl von Associates/Verbündeten zusammen arbeiteten. Diese „Familien“ kontrollierten viele wichtige Geschäfts-Bereiche & Gewerkschaften. Draussen bei den „Farmern“, wie der New Jersey Mob gerne ein bisschen herablassend genannt wurde, gab es zu Beginn der „Sopranos“-TV-Ausstrahlung drei Capos – einer davon hatte sich sozusagen zum „Ober-Capo“ oder „Acting Boss“ aufgeschwungen, ohne allerdings offiziell die „Familie“ zu übernehmen – genauso wie Tony Soprano. Er war also gleichzeitig Capo & Boss – genau wie Tony. Und er war auch in den ziemlich gleichen Geschäftsfeldern tätig. Sein Name war Vincent Palermo, genannt Vinny Ocean. Er verschwand später in einem Zeugen-Schutz-Programm – wie so viele Mobster in den letzten 20 Jahren. Andere sitzen im Gefängnis, wurden von früheren Weggefährten erschossen oder haben sich anderen Tätigkeiten zugewandt. Die „Familien“ in ihren alten Strukturen – mit ihrer enormen Macht, ihrem weitreichenden Einfluss und den gewaltigen Einnahmen – gibt es nicht mehr. Reste der amerikanischen „Cosa Nostra“ existieren natürlich weiterhin und sind auch heute noch aktiv – aber die „guten alten Zeiten“ sind vorbei.

  

Videos & englische Version:

The Sopranos, Episode 87 – The Final Countdown

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The Sopranos, Episode 87 – The Final Countdown